Wahrscheinlichkeit Null

Das Universum bestand für Konrad seit jeher aus Zahlen.

Die ganze Welt war für ihn eine Gleichung, die auf Mathematik und Regeln aufbaute. Alles basierte im Kern auf einer Formel und kannte man diese Formel so war es ein einfaches die Geheimnisse der Welt zu entziffern.

Astrologie, Chemie, Physik, Architektur, selbst Musik und Kunst waren für Konrad nicht vielmehr als abgewandelte mathematische Zahlenkolonne. Er war der festen Überzeugung das die Welt einer logischen Gleichung folgte. Natürlich auch der Zufall.

Schon als kleiner Junge hörte er Redewendungen wie “Das ist fast unmöglich” oder “Die Möglichkeit das es eintrifft liegt fast bei Null.” Und IMMER hatte er sich gefragt WIE unmöglich das denn nun wirklich war. Was für eine Zahl war “fast Null”?

Also begann Konrad schon in seiner Jugend, und auch später, als er bereits Mathematik Professor war, immer wieder nebenbei an einer Formel zu arbeiten.

Eine Formel für den Zufall.

“Gott würfelt nicht”, das hatte einst schon Einstein behauptet. Und sehr schnell sah auch Konrad ein das es keinen Zufall gab.

Es gab lediglich Wahrscheinlichkeit.

Er wusste, je mehr Daten man über den Ort, Zeit, Menschen, Gegebenheiten und Situationen sammeln konnte und es schaffte alles in einer perfekten Gleichung miteinander abzuwägen...dann könnte selbst ER einen Zufall berechnen!

Das Einzige was ihn davon abhielt war seine Frau. Was hatte er sie einst geliebt. Ihr Sinn für Ordnung im Alltag und im Leben hatten ihn einst angezogen, doch nach guten zwanzig Jahren war jegliche Zuneigung aus ihrem Verhältnis verschwunden. Konrad bemühte sich um Geduld und wies immer wieder darauf hin das seine Forschung eines Tages einen Nobelpreis erhalten würde. Doch seine Frau wollte davon nichts wissen, sondern klagte nur über sein klägliches Einkommen, seine Besessenheit und was für Optionen sie einst hatte. In diesen Momenten, welche sich in letzter Zeit häuften, suchte er stets die Flucht an den Computer.

Und schließlich, nach vielen Rückschlägen hatte er seine Formel in ein Programm umgewandelt. Mithilfe seiner Kenntnisse hatte er es sogar geschafft an einen große Menge von Personendaten zu gelangen. Und nicht nur die, auch Daten über das Wetter, Geographische Kenntnisse und Wirtschaftliche Faktoren hatte er sich, bedingt legal, angeeignet. Denn je mehr Daten er hatte umso genauer konnte sein Programm eine Zahl nennen.

Alleine das eingeben der Daten hatte über 8 Monate in Anspruch genommen, und selbst das war nur auf die hiesige Region bezogen. Doch für Konrad war es wie eine Absolution: Wenn er nun den Zufall in Frage stellen würde, so müsste ihm das Programm dazu eine korrekte Zahl nennen können.

Er hatte lediglich ein paar Millionen Variablen in seiner Fragestellung, doch würde man erst von seinem Programm erfahren und würde die Regierung mithelfen, so könnte man bald Milliarden von Daten einspeisen! Die Möglichkeit bestimmte Gegebenheiten, Situationen und Szenarien abzuschätzen würde auf allen Gebieten der modernen Welt Einfluss nehmen können: Das korrekte Risiko eines Herzinfarktes, die genauen Wahrscheinlichkeiten eines Krieges, und die Möglichkeit das Wetter voraus abzuschätzen... die Verwendungsmöglichkeiten wären kaum vorzustellen!

Natürlich brauchte er einige verwertbare Ergebnisse. Also kündigte er seine Arbeit und verbrachte mehrere Wochen damit Szenarien abzufragen. Er beließ es bei allgemeinen Dingen. Wie groß war die Möglichkeit das Männer über Dreißig Leberkrebs bekommen könnten? Wie hoch war die Wahrscheinlichkeit das die Geburtenrate in 10 Jahren steigen würde?
Seiner Frau hatte seine Kündigung weniger gut aufgenommen. All seine logischen Einwände waren an ihr abgeprallt. Er bemühte sich mit seiner Arbeit vor ran zu kommen, denn wenn man ihm erst einmal Anerkennung zukommen lassen würde wäre auch die Liebe seiner Frau neu entflammt. Daran gab es für Konrad keinen Zweifel.

Und als er schließlich gute Fünfzigtausend Szenarien mit einer Zahl benennen konnte begann er ganz gezielte, ganz spezielle Dinge abzufragen. Doch zum ersten mal seit Monaten zögerte er. Was war denn besonders Speziell und Abstrus? Gedankenverloren blickte er aus dem kleinen Fenster seiner Wohnung. Es war scheinbar schon Abend geworden. Nicht das er noch einen Begriff für Zeit hatte, der war ihm längst abhanden gekommen. Die Stadt vor ihm lag friedlich da, der Kirchturm gegenüber läutete gerade. Seine Augen fixierten den Kirchturm.

Wie wahrscheinlich...? Er schmunzelte und begann wieder auf seine Tastatur einzutippen. Wetter, Lage, Architektonische Daten, mehr brauchte er nicht. Und dann hatte er es auf dem Monitor.

Die Möglichkeit das ein Blitz in den Kirchturm einschlug betrug 6,00381 Prozent. Natürlich könnte er das Ganze noch mehr auf einen Zeitrahmen, auf eine Tageszeit oder einen Wochentag abfragen, doch schon rief ihm seine Frau, wie immer sehr energisch, zum Abendbrot.

Konrad spürte wie sehr in die letzten Etappen seines Projektes mitgenommen hatten. Wann war es das letzte mal gewesen das er mehr als vier Stunden durchgeschlafen hatte? Er beschloss seine Kräfte zu regenerieren und legte sich gleich nach dem Abendessen ins Bett.

Die Sirenen weckten ihn am nächsten Morgen. Als er verschlafen seine Gattin fragte was vorgefallen sei, erklärte diese das es wohl einen Blitzeinschlag gegeben hätte.

Konrad war mit einem mal hellwach. War das möglich? Hastig ging er ans Fenster, und dann sah er es. Der Kirchturm stand in Flammen. Er setzte sich fassungslos hin. Hatte sein Programm damit etwas zu tun? Das könnte natürlich auch alles eine Verkettung von absurden Möglichkeiten sein. Er überlegte angestrengt. Wenn man einen Zufall wirklich mit einer Konkreten Zahl nennen konnte...könnte man ihn somit herbeiführen?

Seine Überlegungen wurden vom Türklingeln unterbrochen. Entnervt ging er an die Haustür, es war sein Vermieter. Der gewichtige, durchweg unsympathische Mann forderte recht lautstark die Ausstehende Miete ein. Konrad beschwichtigte ihn nur mit Mühe und schaffte es einen Aufschub für einen Tag auszuhandeln. Dabei musste er sich trotzdem unschön als Drückeberger und Schnorrer beschimpfen lassen.

Konrad knallte die Tür zu. Er wäre schon viel weiter mit seinem Programm wenn ihn nicht solche Nichtigkeiten immer wieder aufhalten würden. Wer war dieser Mann ihn so zu beleidigen? Ein fetter, feister Kerl dessen Gehabe noch aufgeblähter war als sein Körper. So einer starb eh früher oder später an gesundheitlichen Leiden.

Er hielt inne, sein Blick wanderte zum Computer. Sollte er es wagen? Er ermahnte sich das diese Theorie sehr gewagt war. Es war kein Verbrechen ein Computerprogramm zu testen. Er wollte lediglich eine Wahrscheinlichkeit ausrechnen. Das war nichts verwerfliches. Das etwas dadurch ausgelöst wurde war vollkommen absurd. Dennoch hatte Konrad eine gewisse Freude daran die persönlichen Daten des Vermieters einzugeben. Einige Zahlen, dann musste er nur noch die Leertaste drücken. Unverhohlen zufrieden betrachtete er die Zahl.

Die Wahrscheinlichkeit das sein Vermieter demnächst an einem Herzanfall starb lag bei 18,7213 Prozent. Keine schlechten Chancen, fand Konrad.

Am nächsten Tag bleib der Besuch des Vermieters aus. Natürlich war sich Konrad unsicher. Es gab viele Möglichkeiten warum er nicht aufgetaucht war. Er musste Gewissheit haben! Zitternd wählte er die Telefonnummer des Hausverwaltung. Eine Frau meldete sich unter Tränen. Er musste ihr gar nicht mehr zuhören um zu wissen was geschehen war. Mit Elan legte er auf. Das war Fantastisch! Ihm wurde fast schwindelig. Er hatte wahrscheinlich die größte Entdeckung der Menschheitsgeschichte gemacht! Das war der Nobelpreis...nein. Für seine Errungenschaft müsste man eine gänzlich neue, größere Ehrung erfinden! Er hatte Geschichte geschrieben!

Sein euphorischer Taumel wurde von einer Gestalt im Türrahmen unterbrochen. Seine Frau hatte ihre Koffer gepackt.

Verständnislos hörte Konrad zu wie sie etwas von einem neuen Mann redete, von jemanden der sich noch für sie und nicht für seine Arbeit erwärmen konnte. Wie vom Donner gerührt stand er da und konnte ihr nur noch hinter hersehen als sie die Wohnung verließ.

Dann überkam ihn die Wut wie schon seit Ewigkeiten nicht mehr. Er hatte Jahre für sein Lebenswerk geopfert, und alles was sie darauf erwiderte war Ablehnung? Sollte sie ihn nicht für seine Hingabe bewundern? Er erkannte schlagartig das sie ihn nur vom Erfolg abgehalten hatte.

Konrad wusste, das würde sie ihm büßen.

Es überraschte ihn nur wenig als am darauffolgendem Morgen die Polizei erschien um ihm die “traurige Nachricht” über den Tod seiner Frau zu überbringen. Er nahm es mit gespielter Trauer und unterdrückte den Wunsch den Beamtem mitzuteilen das die Möglichkeit eines tödlichen Autounfalls in der Stadt bei fast 11 Prozent lag.

Nun hatte er genügend Zeit fast eine Million Szenarien zu erstellen um das Forschungsinstitut von seiner Arbeit zu überzeugen. Er hatte alle möglichen abstrusen Situationen erstellt, von sehr wahrscheinlichen bis fast unmöglichen. Nun würde er die Früchte seiner Arbeit endlich genießen können.


Doch als er am nächsten Tag einige Hundert Meter vor dem Institut die Straße überquerte wurde Konrad von einem himmelblauen Kühlschrank erschlagen.


Dieser bizarre Unfall erzeugte natürlich Interesse bei den lokalen Medien. Es stellte sich heraus das ein Flugzeug einen merkwürdigen technischen Fehler hatte und durch einen fast unmögliches Missgeschick der Kühlschrank einer Haushaltsfirma dabei aus dem Flugzeug stürzte.

Nichts blieb dabei von Konrad oder seinem Programm übrig.

Hätte man die Daten nochmal einsehen können wäre es möglich gewesen nachzulesen was das unwahrscheinlichste Szenario in Konrads Liste war: Und zwar am Helligen Tag mitten auf der Straße von einem Kühlschrank in der Farbe Himmelblau erschlagen zu werden. Die Zahl die das Programm dazu angab war eine Null mit einer Eins genau 577 Stellen nach dem Komma.

Kurzgesagt: Fast Null.

Ende

 

 

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Kommentare: 2
  • #1

    NekoGirl (Donnerstag, 28 Juli 2011 18:00)

    Nicht schlecht :D Die geschichte finde ich sehr interessant sowas nennt man würde ich sagen Ironie des schicksals ^^ naja eine echt schne geschichte mit einem guten ende finde ich :) gute arbeit kame~

  • #2

    Lina (Donnerstag, 24 Mai 2012 19:00)

    Am Ende ist mir doch ein Lachen entglitten :'3

    Schöne Geschichte & weiter so~