Wie zeronnen, so gewonnen

Nürnberg, 1723.

 

Die Nacht war früh hereingebrochen. Unvermittelt, wie eine Tier im Sprung hatte sich der Himmel verfinstert und die Straßen der Stadt in Dunkelheit getaucht, nur unterbrochen durch das Flackern der Straßenlaternen.

 

Die Straßenhändlerin Marie sah ein das ihr Tagewerk beendet war. Sie hatte nicht allzu viele Schwefelhölzchen verkauft, und ihre Mutter würde sie sicher wieder schelten, doch in den menschenleeren Gassen nun noch einen Käufer aufzustöbern war so gut wie Unmöglich.

 

Ihre Schuhe klapperten einsam über das Straßenpflaster während sie ihren Gedanken nachhing. Erst als sie kurz vor ihr stand bemerkte sie die große Gestalt vor sich. “Ein Hölzchen der Herr?” fragte Marie aus Reflex, bemerkte dann aber die Präsenz die ihren Gegenüber umgab. Die Gestalt war sicher zwei Köpfe größer als sie, und mit einem langen, braunen Mantel samt Kapuze bekleidet. Als die Straßenhändlerin die Gefahr erkannte war es zu spät.

 

Am nächsten Tag war Melissa, die Tochter des Imkers, auf ihrem Heimweg. Sie bemerkte den Mann im Umhang der sich ihr näherte nicht, bis er ihren Bauch umfasste und sie stumm an sich presste. Die junge Frau gab ein Keuchen von sich, bis sie den Übeltäter erkannte.

 

“Florian!” Melissa lachte und schlug ihn verspielt an die Schulter. “Ihr Unhold!” doch sie erwiderte sein Lächeln. Der Bursche war vor einigen Jahren in die Stadt gekommen und war bei einem Küfer in die Lehre gegangen, bald würde er ausgebildet sein.

 

“Wer dachtest ihr würde euch denn so vertraut anfassen?” Der Bursche erkannte Melissa’s Stimmungswechsel schnell an ihrem Gesicht. Ob ihr die Krankheit ihres Vaters wieder Sorgen bereitete, fragte er. Doch sie verneinte, der Zustand ihres Herrn Vater war seit einiger Zeit nicht mehr der Beste, das Alter und das schlechte Wetter eben, doch der erneute Mord machte ihr mehr Sorgen.

 

“Mord?” Florian hatte noch nichts dergleichen gehört, und so berichtete sie ihm das abermals ein junges Mädchen tot in einer Gasse aufgefunden wurde, blutleer und weiß wie ein Laken.

 

“Das wäre ja schon das vierte Opfer” stellte der Lehrling fest. Seit Monaten wurden immer wieder junge Frauen scheinbar willkürlich überfallen und am darauffolgenden Tag tot aufgefunden. Die Stadtwache stand vor einem Rätsel, da man sich weder an den Opfern vergangen hatte, noch ihre Habe stahl, doch besaßen alle keinen tropfen Lebenssaft mehr im Körper. Das Werk eines Wahnsinnigen, so urteilten die Stadtoberhäupter, und mahnten alle Leute gen Abend daheim zu bleiben, bis man den Übeltäter gestellt hatte.

 

“Wo ist es geschehen?”

 

Melissa rieb sich unbewusst über die Oberarme, wandte den Blick ab. “In der Kupfergasse fand man sie wohl.” ihre Augen suchten seine. “Das ist in der Nähe eurer Unterkunft oder?”

 

Der angehende Küfer fühlte sich plötzlich genötigt sich zu verteidigen. “Denkst ihr etwa ich hätte mit so einer scheußlichen Untat etwas zu tun?” Sein Tonfall war anklagender ausgefallen als ihm lieb war, und als er sah wie Melissa zusammenzuckte bereute er seine Worte sofort.

 

“Ich mache mir doch nur Sorgen um euch” erwiderte sie verletzter, ihre Augen wurden eine Spur wässrig. Sofort wollte Florian sie umfassen, als plötzlich eine Stimme erschall.

 

“Küferlehrling! Was tut ihr da mit meinem Kind?” Das junge Paar drehte den Kopf und erkannten Melissas Vater, den Imker Franz. Er war nicht mehr der jüngste und ein Atemleiben nagte an seiner Gesundheit, so das er sich auf einem Stock stützen musste, dennoch war er rüstig genug um jeden Anderen schnell einzuschüchtern.

 

Melissa wollte etwas sagen doch der alte Mann schnitt ihr mit einer gebieterischen Geste seines Stocks sofort das Wort ab. “Komm ins Haus!” befahl er ihr während er Florian nicht aus den Augen ließ.

 

“Imker Franz, ich wollte eurer Tochter...” begann der Bursche doch das war alles was er hervorbringen durfte, denn Melissas Vater schien nicht an seinem Standpunkt interessiert. “Was ihr wolltet ist mir gleich Bube, ich habe es euch schon einmal untersagt sich meiner Tochter zu nähern!”

 

Ohne eine Antwort abzuwarten wandte er sich ab und ließ seinen Gegenüber stehen.

 

Florian mühte sich um Fassung und verwarf längere Grübelleien. Seit er Melissa näher kennenlernte war ihr Vater ihm gegenüber immer feindseliger geworden. Der Lehrling gestand sich selber ein das er bisher noch kein würdiger Heiratskandidat war, doch war er nicht stets aufrecht und ehrlich gegenüber dem Imker gewesen? Er hatte dem alten Mann offen gesagt was er für sein einziges Kind empfand, doch war er auf eisige Ablehnung gestoßen.

 

Während er über Melissas und seine Zukunft nachsann führten ihn seine Schritte an der Kupfergasse vorbei. Mehrere Gaffer und Neugierige Bürger standen beieinander und klagten wie in einem Chor über die Tragödie.

 

Florian jedoch besah sich nur abwesend die Szenerie. Längst war der Leichnam fortgeschafft worden, und alle Spuren des Verbrechens von den Stadtwächtern beseitigt. Er wollte sich gerade abwenden als seine Augen an einem Punkt verharrten. Im Rinnstein der Straße befand ich etwas zwischen Laub und Unrat. Behutsam beugte er sich hinunter und hob es an, betrachtete stirnrunzelnd den Fund. Ein Schwefelholzheftchen.

 

Dank dem Tratsch der Menge fand er schnell heraus das sie dem toten Mädchen gehört haben musste. Etwas beim Anblick der Hölzchen berührte sein Innerstes. Er war wie alle betroffen über die Morde, doch reichte das aus? Der Gedanke das ein so junges Leben so abrupt und brutal endete ließ ihm das Herz schwer werden. Nicht auszudenken wenn dieser Unhold Melissa...

 

Florian verscheuchte den Gedanken panisch wie ein Insekt vor seinem Gesicht, man sollte kein Unglück heraufbeschwören, sonst suchte es einem Heim. Dennoch fasste er in diesem Augenblick seinen Entschluss, er würde seine Zeit und Kraft aufbieten um beim ergreifen des Wahnsinnigen mitzuhelfen. Einerseits wollte der Lehrling dies um die Frau seines Herzens in Sicherheit zu wissen, und andererseits erhoffte er sich auch damit gegenüber ihrem Vater etwas ins bessere Licht zu rücken.

 

Seine guten Absichten wurden jedoch schnell mit der trübseligen Realität konfrontiert.

 

Feuer und Flamme hatte er sich der Miliz angeschlossen, eine Gruppe junger Männer denen das Wirken der Stadtwachen zu mangelhaft erschien. Florian hatte sich ausgemalt wie sie alle mit Herzen bei der Sache abends durch die Stadt patrouillierten, musste jedoch schnell erkennen das die meisten dieser Ausflüge in den Tavernen und Gasthöfen Hamburgs Endeten, wo bald ein unziemliches Saufgelage ausbrach.

 

Nachdem er dieses Schauspiel eine Weile stumm ertragen hatte sah er ein das er hier nichts ausrichten würde. Bewaffnet mit einem Messer und Entschlossenheit begann er nun alleine und für sich durch die Straßen der Stadt zu schreiten, immer wieder den Blick nach zweifelhaften Gestalten ausschau haltend.

 

Seine Ergebnisse waren ernüchternd.

 

Ab und an fand er angetrunkene Herumtreiber die Bürger belästigten, ein andermal zankende Dirnen, doch keiner von ihnen war der Gesuchte. Nach drei Abenden ohne jegliche Erfolge wollte er schon sein Vorhaben verfluchen und aufgeben, doch an diesem Abend sollte er das finden was er so lange gesucht hatte.

 

Florian war dank des Schlafmangels unkonzentriert durch einige Straßengassen gewandert, und bemerkte beinahe nicht den Schrei der an sein Ohr drang. Eilig nahm er die Beine in die Hand, in die Richtung aus der er die Quelle des Rufs vermutete. All zu oft war er enttäuscht worden, fand Lappallien wo er Schrecken mutmaßte, doch als er den Hinterhof von dem der Schrei kam betrat wusste er das es diesmal anders war.

 

Schnell erkannte der Küferlehrling das Bild: Eine junge Frau, eine ummantelte Gestalt die sie an der Kehle gepackt hatte, ihr angstverzerrtes Gesicht. Ohne lange nachzusinnen zog Florian das Messer, rannte auf den Hünen zu und stach ohne zu zaudern in den Mantel, doch die Klinge traf nicht auf Fleisch, Florian glaubte eher er hätte versucht eine Mauer zu erdolchen, und überrascht blickte er dem Wesen unter die Kapuze.

 

Sie hatte kein Gesicht.

 

Dort wo eine Nase, Augen, Wangen oder auch nur menschenähnliche Züge hätten sein müssen war nichts als eine weiße Scheibe. Mit einem Schrei wich der junge Mann zurück, und das nutzte das Ungetüm. Gleichgültig ließ er sein Opfer fallen und schmetterte seinen Arm, groß wie der eines Bären, zur Seite und riss Florian von den Beinen.

 

Augenblicklich wollte er sich wieder aufrappeln um ein vermeintliches Nachsetzen der Kreatur abzuwenden, doch der Gesichtlose hatte gar nicht die Absicht weiter anzugreifen. Mit einer Geschwindigkeit die Florian diesem riesigen Geschöpf niemals zugetraut hätte wirbelte es herum und verschwand in der Dunkelheit der Gassen, zurück blieben er und die junge Frau.

 

Eilig versicherte sich ihrer Gesundheit, und nahm ihren tränenreichen Dank entgegen. Florian blickte auf das Bodenpflaster und erkannte sein Eigentum: Das Messer, seine Waffe die vom Unwesen wirkungslos abgeglitten war. Doch als er es wieder in die Hand nahm bemerkte er an dessen Klinge etwas. Er betastete die farblose Masse, roch daran... und dann überkam ihn die Erkenntnis...

 

Es war Schlag Mitternacht als er das Anwesen des Imkers Franz betrat.

 

Melissas Vater war einer der wohlhabendsten Bürger der Stadt und besass ein imposantes Gebäude in der Hansestadt. Das riesige, unter dem verhangenem Himmel dunkle Herrenhaus war weiträumig, wirkte aber seit dem Tode von Melissas Mutter vernachlässigt. Das Glück schien dem Lehrling hold, denn er fand wie zufällig ein Fenster das nicht richtig geschlossen war, und konnte unbemerkt ins Haus eindringen.

 

Doch nach was wollte er suchen? Der Imker war in Umland nicht nur für seinen Honig berühmt, Florian war sich bewusst das er auch ein anderes Gut herstellte: Kerzenwachs.

 

Rasch hatte den bleichen, weißen Wachs an seinem Messer erkannt, selbst der typische Geruch war für ihn zu erkennen, war doch der Imker und seine Tochter oft mit einem Hauch dieses Geruchs geschmückt. Der Bursche wusste nicht wie, doch er ahnte das diese unselige Kreatur etwas mit dem Imker zu tun hatte.

 

Bedacht darauf keinen Lärm zu machen begann Florian die untere Etage zu durchkämmen. Alle Räume schienen unverdächtigt, doch der Gedanke das die Frau seines Herzens vielleicht einen Unhold zum Vater hatte trieb in weiter an jede noch so kleinste Ungereimtheit zu finden.

 

In der Vorratskammer wurde er fündig. Erst hatte er nichts bemerkt, doch dann erkannte er am Holzboden, vollkommen unscheinbar einen kleinen Ring. Ohne Mühe konnte er ihn anheben, und blickte auf eine steinerne Treppe die sich spiralförmig hinab schlängelte. Die Gedanken des Küferlehrlings überschlugen sich. Sollte er es wagen? Er mahnte sich um Fassung, er war nun so weit gekommen, und wenn der Imker wirklich ein Geheimnis barg dann musste es dort unten sein.

 

Vorsichtig stützte er sich an die Wände und schritt langsam hinab in die Dunkelheit. Erst wollte er eine Lichtquelle suchen, doch überrascht erkannte er das es am Ende der Treppe einen hellen Schein gab.

 

Er sah bald die Quelle dieses Scheins am Fuße der Treppe.

 

Eine riesige Kerze war wie ein stummer Wächter postiert und würde wohl noch wochenlang Licht spenden, sollte man sie nicht vorher löschen. Florian blickte sich um. Die unterirdische Kammer schien ihm erst künstlich geschaffen, doch dann betrachtete er die urbanen, feuchtkalten Wände und wusste das dies einmal eine natürliche Höhlenkammer gewesen sein musste. Das Gewölbe schien fast 500 Schritt zu messen, und überall spendeten riesige Kerzen Licht. Der Bursche erblickte mehrere Tische voller Kerzen und absonderlicher Pulver, Bücher mit nicht lesbaren Schriften und allerlei abscheulicher Kuriositäten in Gläsern. Doch zwei Objekte am Ende der Kammer waren für ihn von besonderem Interesse.

 

Zum einen eine Art eiserner Bottich, einem Kessel gleich. Doch absonderliche Zeichen waren in ihm eingeritzt, und der eingetrocknete Boden des Gebildes roch für ihn abscheulich vertraut. Auf einmal wusste er nach was der Bottich roch: Blut. So roch es auch wenn er beim Fleischermeister vorbeiging und jener in seinem Hof gerade Pferde oder Schweine schlachtete.

 

Das andere Stück welches Florians Aufmerksamkeit erregte war ein riesiges, verhülltes Objekt. Mit einem Ruck zog er das Laken weg und wich mit einem Schrei zurück. Dabei stieß er an einen der Tische und warf diverse Gläser und Apparaturen herunter, doch das kümmerte ihn in jenem Augenblick nicht.

 

Vor ihm Stand die Gesichtslose Kreatur. Immer noch mit einem Mantel bekleidet, doch dank dem Kerzenlicht diesmal klar erleuchtet ragte der Riese vor dem Burschen auf. Verstört bemerkte dieser das dass Geschöpf weder Schuhe noch sonstige Kleidung besass, auch bestand es nicht aus Fleisch.

 

Es war ein Golem aus Wachs.

 

Der Küferlehrling hatte im Kindesalter von solch Schauerwesen gehört, doch niemals hatte er solcherlei für real oder glaubhaft gehalten. Kampfbereit zückte er sein Messer, doch dann bemerkte er es. Der Golem rührte sich nicht. Stumm wie eine Statue verharrte das Wesen so als hätte ihr niemals ein Funken Leben innegewohnt. Florians Herzschlag beruhigte sich, bis seine Sinne etwas neues wahrnahmen. Oben an der Treppe war es deutlich heller geworden. Verstört blickte er auf das Chaos das er angerichtet hatte, man hatte ihn gehört!

 

Eilig ohne seine Spuren zu verwischen hastete er die Treppe hinauf, er musste die Miliz herbeirufen und den Imker verhaften lassen! Vorsichtig durchquerte er den nun hell erleuchteten Wohnraum, wenn er nur rechtzeitig zur Tür käme...

 

Doch in diesem Moment schob sich jemand zwischen ihm und der rettenden Freiheit der Stadt.

 

“Ihr also Küferlehrling.” sprach der alte Imker drohend, fixierte ihn wie ein Raubtier die Beute. Doch diesmal ließ sich Florian nicht beirren, und zog kampfbereit seine Waffe. “Eure Machenschaften sind nicht weiter unentdeckt alter Herr, ihr habt lange genug euer Unwesen getrieben!”

 

“Unwesen?” der Imker beugte sich etwas auf seinen Stock und stieß einen höhnischen Laut aus. “Ich erkenne vielmehr in eurem Eindringen eine schändliche Absicht. Wolltet ihr mir mein Kind rauben?”

 

Die Erwähnung von Melissa ließ den Burschen einen Herzschlag innehalten, und diesen Augenblick nutzte der Imker, wuchtete seinen Gehstock und schmetterte ihn gegen die Hand die das Messer hielt. Florian brüllte mehr der Überraschung als des Schmerzes wegen, doch schon hatte sich der alte Mann auf ihn geworfen und versuchte ihn niederzuringen.

 

Der Lehrling jedoch war stärker und jünger, und als der Überraschungsmoment überwunden war schaffte er einen gekonnten Schwinger an das Kinn des Gegners, so das dieser besinnungslos auf den Rücken stürzte. Verstört betrachtete er den alten Mann, was für ein gottloser Bann musste über ihn stehen sich mit solchen Mächten einzulassen? Er konnte Melissa unmöglich zurücklassen, die Gefahr das ihr Vater aufwachen würde während er die Miliz holte wäre zu groß.

 

Er wandte sich zur Treppe, doch jetzt erst wurde ihm gewahr das dort jemand die ganze Zeit gestanden hatte.

 

“Melissa!”

 

Die Frau seines Herzens stand ungerührt am Kopf der Treppe und starrte auf die beiden Männer. Sofort wollte Florian zu ihr eilen doch eine gebieterische Geste von ihr ließ ihn verharren. Augenblicklich versuchte er dieses Schauspiel zu rechtfertigen und sich zu erklären, doch schnell musste er merken das es der Imkerstochter gar nicht darum ging, und er erkannte zum ersten Mal in ihren Augen einen eisigen Hauch.

 

“Wie ungebührlich von euch mein Heim zu durchsuchen” tadelte sie ihn. Sie trug ein einfaches Nachthemd, aber ihre Körperhaltung wirkte auf den Lehrling fast schon gebieterisch wie die einer hohen Dame, ihre weichen Lippen waren zu einem spitzen Lächeln verzogen. “Wer konnte ahnen das ihr, ausgerechnet ihr meine geheime Kammer finden würdet? Ihr, der Ihr mir doch so verfallen wart.” Ein kichern entwich ihr, doch dann wurden ihre Züge wieder hart. “Es scheint nun muss ich doch gegen euch vorgehen.”

 

Florian traute seinen Sinnen nicht. War das Melissa? Die Frau der sein Herz gehörte? Er brauchte einen Moment bis er seine Stimme fand, flehte fast nach einer Erklärung, nach einer Rechtfertigung ihrerseits. Doch die einst so sanfte und zurückhaltende Frau zuckte nur mit den Schultern.

 

“Was erwartet ihr Florian? Das ich euch meine geheimen Zauber preisgebe?”

 

Der Küferlehrling schluckte, mühte sich der nun so fremden Melissa in die Augen zu blicken. “Ihr habt diesen Golem befehligt?” Sie bejahte, mit alten Riten hatte sie das Wesen aus Wachs erschaffen und dazu genutzt junge Frauen zu ermorden.

 

“Aber Melissa, wie... wieso?”

 

Langsam schritt die Angesprochene die Treppe herab, ihre Züge eine Maske aus Hohn und Spott. “ Wieso mein Galan? Es ist ganz einfach, für meine Zauber benötige ich halt Blut. Reines wenn möglich, so lasse ich meinen Golem die Jungfern hierherschaffen, und wenn ich von ihnen habe nach was mir gelüstet entledige ich mich ihrer in einer Gasse oder einem Hinterhof, das ist doch wirklich sehr klar zu ersehen.”

 

Auf einmal bemerkte Florian wie sich der Imker Franz bewegte. “Also seid ihr doch dem Fluch eurer Mutter anheim gefallen” wimmerte Melissas Vater.

 

“Mutter war eine mächtige Frau” urteilte die Imkerstochter stolz. “Noch bevor ihr lieber Vater ihrem Treiben auf die Schliche kamt lehrte sie mich die mächtigen Künste, auf das ich ihr eine würdige Schülerin sein würde!”

 

Florian wusste nicht mehr wo ihm der Kopf stand. “Imker Franz, ihr habt euer eigenes Weib...?” Der alte Mann gestand es ein. Eines Nachts fand er ein Buch in ihrem Schrank, voll gotteslästerlicher Rituale und Zauber. Seine Frau bekannte sich zu ihrem Treiben, und wollte ihm sogar das Leben rauben, doch in einem Gerangel stürzte sie schwer und hauchte ihr Leben aus. Er dachte Melissa hätte von alldem nichts gewusst.

 

“Oh doch werter Herr Vater” korrigierte ihn Melissa “Ist euch nie in den Sinn gekommen das euer Leiden etwas mit mir zu tun haben könnte? Ich wollte euch mit sanften Mitteln ins Jenseits schicken, doch nun bleibt mir wohl keine Wahl als euch Beide hier und jetzt von der Erde zu tilgen!”

 

Mit dieser Drohung zückte die junge Frau ein Messer, stach sich ohne eine Sekunde zu harren in die Handfläche und begann unverständliche, fremdartige Laute in einem Singsang anzustimmen. Florian wusste nicht was das zu bedeuten hatte, aber es war ihm gleich. Er wollte nur fort, fort von diesem Haus, dieser Frau die er so geliebt hatte und die ihn so getäuscht hatte.

 

Eilig schritt er zur Haustür, doch vermochte er es nicht sie zu öffnen, so sehr er auch daran zog. Melissa lachte auf, und erklärte das ihr Siegel auf dem Land lag, solange sie es beliebte blieben alle Fenster und Türen in diesem Anwesen verschlossen!

 

In diesem Moment begann der Boden zu beben, und aus der Vorratskammer trat der Golem. Riesig, lebendig und gesichtslos wirkte er wie ein Racheengel aus einer fernen Welt. Florian ließ seinem Zorn, seinem Frust und seiner Enttäuschung die Oberhand gewinnen, und warf sich mit gezückter Waffe todesverachtend auf das Ungeheuer.

 

Ein aussichtsloser Kampf.

 

Sein Messer erdolchte das Ungetüm, zeigte jedoch keinerlei Auswirkung. Mühelos schleuderte der Golem ihn zur Seite, so das er rücklings gegen die Wand fiel und zusammensackte. Als er wieder bei Sinnen war sah er das Ungeheuer mit einem zweiten Gegner ringen. Verstört erkannte er Melissas Vater der sich mit seinem Stock dem Monster zu erwehren suchte, vergeblich.

 

Das Unwesen packte den Imker am Kragen und warf ihn an den Fuß der Treppe, wo er leblos liegenblieb. “Gut so, nun töte den Anderen!” orderte Melissa ihrem Diener mit ausgestreckten Finger, ihre Miene fern von jedem Mitleid.

 

Florian ahnte das ein Kampf gegen diesen Gegner keinerlei Aussicht auf Sieg hatte. So schnell seine Beine ihn trugen spurtete er in die Küche des Anwesens, warf die Tür ins Schloss und riss mit Kraft einen Schrank davor. Während die Tür unter dem Schlägen des Golems zu bersten begann versuchte der Bursche eines der Fenster zu öffnen.

 

Aber wie Melissa es prophezeit hatte war es wie durch Magie verriegelt. Das Ungeheuer hatte inzwischen die Tür eingeschlagen und rang noch mit dem Schrank, während der Küferlehrling nach einer Waffe ausschau hielt.

 

Keine der Küchenutensilien würde auch nur einen Atemzug gegen den Golem bestehen. Weder eines der Küchenmesser, noch einer der Hocker, noch die Lampe...

 

Bei der Lampe kam ihm eine Idee, panisch suchte er in seinen Kleidern bis er seinen kostbaren Fund zu Tage förderte. Die Schwefelhölzchen.

 

Als sein Gegner mit seinen Pranken den Schrank zerschmetterte zündete Florian die Öllampe an, und warf sie in einem hohen Bogen gegen den Riesen. Augenblicklich fing die Kreatur Feuer, hielt aber nicht in ihrem Tun inne. Wie ein Flammenteufel schlug das Wesen die Reste seiner Hindernisse fort und griff mit flammenden Fäusten nach dem Burschen.

 

Dieser aber wich unter dem Riesen aus, schrie auf als tropfen heißen Wachs auf seine Wange landeten und hastete zurück in den Wohnbereich. Melissa schrie indessen wie eine Furie und verlangte seinen Tod, während er weiter vor dem nun brennendem und schmelzenden Golem floh. Jener war nun sichtlich langsamer, seine Schritte zogen lange Fäden während sein lodernder Körper die Wände und Möbel lichterloh in Brand steckten.

 

“Töte ihn töte ihn!” schrie die wahnsinnige Hexe nun wie ein dunkles Mantra, folgte ihrem Riesen wie ein General dem Soldaten. Der Golem schlug mehrmals nach Florian, dieser suchte aber zwischen Möbeln Deckung, so das die Schläge nichts weiter taten als den Raum mit flammenden Tropfen Kerzenwachs zu sprenkeln. Als er ein weiteres mal die Pranke erhob und mit Schwung nach seinem Gegner ausholen wollte war die Wucht zu stark für den nun schmelzenden Körper.

 

Die brennende Faust löste sich in der Rückwärtsbewegung und traf Melissa. Eine Gallone brennender Wachs bedeckte augenblicklich ihr Gesicht, die Augen und ihre Haare die sofort Feuer fingen.

 

Florian würde diesen Anblick nie vergessen als der Golem in sich zusammensackte während Melissa wie eine Flammensäule herum taumelte, einer lodernden Harpyie gleich. Das Anwesen stand längst in einem Flammenmeer, der Lehrling betete das nun der Zauber gelöst war, und tatsächlich ließ sich die Haustür öffnen. Ein brennender Deckenbalken stürzte in den Raum, alles untermalt von Melissas Schreien. Er wollte schon hinausstürmen als er den Imker Franz stöhnen hörte. Er war nicht tot! Unter Einsatz seines Lebens stolperte der Küferlehrling über die brennenden Bodendielen, packte den Mann unter die Arme und zog ihn aus dem Anwesen.

 

Unlängst hatten sich die Bürger um das brennende Gebäude versammelt, doch jeder wusste das ein Löschversuch vergeblich sein würde. Florian war es recht.

 

Die Kammer, das Unwesen und die Frau die er einst liebte und die ihn verraten hatte würden in diesem Feuer verschwinden.

 

Imker Franz und er blickten noch lange in das Inferno, und noch bis ins hohe Alter würde der Bursche beschwören können eine flammende Frau gesehen zu haben die ihn hasserfüllt aus brennenden Augenhöhlen anstarrte.

Ende

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