Der Profi

Ich bleibe unauffällig. Mein Ziel verlässt gerade das Büro und blickt sich um. Diese Moment nutze ich um ihn mir näher anzusehen.

 

Der Mann ist in den mittleren Jahren, gut gekleidet und wirkt eigentlich recht sympathisch. Nicht das es eine Rolle spielt. Ich bin ein Profi, und ich bin gut in meinem Job.

 

Ich kenne seinen Namen und ich kenne seine Geschichte. Das ist wichtig. Für mich zumindest. Es ist nicht wichtig was dieser Mann getan hat oder was er nicht getan hat. Das hat keinen Einfluss auf meinen Auftrag.

 

Das hat es nie.

 

Doch es ist für mich wichtig das ich seine Geschichte kenne, denn wenn ich mir darüber keine Gedanken mache, wer dann? Ich finde das ist nur ein kleines Opfer das meine Arbeit mit sich bringt. Jetzt setzt er sich in Bewegung. Er beeilt sich, denn er spürt wie ich das der Regen gleich einsetzen wird. Zielstrebig geht er Richtung U-Bahn. Ich überprüfe meine Waffe, wie ich es immer tue.

 

Natürlich ist sie einsatzbereit.

 

Natürlich ist sie im besten Zustand.

 

Das ist sie immer.

 

Ich bin ein Profi.

 

Langsam folge ich ihm. Ich lasse mir Zeit, ich gönne mir etwas Abstand. Ich spüre das ich auf den optimalen Moment warten muss. Das ist ein wichtiget Punkt am Auftrag: Das Timing. Timing ist wichtig, denn wenn man zu hastig agiert tut man niemanden einen gefallen. Es ist wichtig für mich den Job ordentlich zu erledigen, also zwinge ich mich zur Geduld.

 

Er telefoniert. Ich ahne das es um seine Schulden geht. Er hat Unmengen an Spielschulden. Ich persönlich finde Spielen ist wie der Riss in einem Damm. Erst ist es nur ein Rinnsaal, doch wenn man die Gefahr nicht früh genug erkennt dann weitet sich der Riss aus. Und am Ende bricht der Damm. Er hat die Kontrolle verloren, hat hoch gewettet, die Übersicht verloren und, wie es nun mal oft der Fall war, verloren.

 

Jetzt setzt der Regen ein. Kein feiner Sprühregen, keine kleinen Tropfen, sondern lange Bindfäden voll Wasser die sich wie Zorn der Wolken auf den Bürgersteig entladen. Die Menschen beschleunigen ihre Schritte, ebenso wie mein Zielobjekt. Seine Gestik ist ruhig, sein Tonfall am Handy geduldig und beherrscht. Ich weiß das er alles in Ordnung bringen will.

 

Doch vorerst muss er sein Telefonat beenden, und nimmt die Treppe hinab zur U-Bahn. Er bemerkt nicht das ich ihm folge.

 

Der Bahnsteig ist überfüllt. Das Wetter hat alle in den warmen Untergrund getrieben und die Luft ist von der typisch höflich-stillen Aggression einer Großstadtmenge überlagert. Jugendliche drängen sich lautstark an Rentnern und Geschäftsfrauen vorbei, Pendler nutzen eiskalt ihre Ellenbogen und überhören gewissenhaft den leisen Protest der Mitreisenden. Raucher ignorieren die Nichtraucher, Kinder die schimpfenden Eltern, das alltägliche Szenario.

 

Mein Ziel steht nahe am Bahnsteig und schaut angestrengt nach dem einfahrenden Zug. Ich gleite geschickt durch die Menge ohne auch nur jemanden zu streifen. Nun stehe ich hinter ihm, keine Handbreite entfernt. Er und ich sehen das Licht des Zuges im Tunnel, hören das vertraute Rattern das langsam anschwillt. Seine Gedanken sind woanders, er bemerkt mich nicht. Die Gelegenheit ist da.

 

Aber noch ist es nicht so weit.

 

Der Zug fährt ein, die Türen öffnen sich und wir steigen beide mit den anderen Wartenden in das halbwegs leere Abteil.

 

Er schreibt eine SMS. Vielleicht an seine Frau. Oder an seine Tochter. Sie ist schon erwachsen und hat kaum noch Kontakt zu ihm. Die Spielschulden sind seiner Familie nicht verborgen geblieben. Erst haben sie ihm helfen wollen, taten alles um ihn zu unterstützen. Doch er hat es immer wieder geschafft sie zu enttäuschen, hatte ihr Sparbuch geplündert und alles an Spieltischen verprasst.

 

Er will es in Ordnung bringen. Er ist kein schlechter Mensch, das wird mir bewusst. Nicht das dieser Umstand etwas ändert. Ich bin ein Profi, und ich erledige meinen Job gewissenhaft. Drei Stationen später steigt er aus, und wieder folge ich, gönne mir Abstand, lasse ihm etwas Raum, wiege ihn in Sicherheit.

 

Es bringt niemanden etwas grob vorzugehen. Das wichtigste am Auftrag ist das Timing, den optimalen Moment erkennen und nutzen.

 

Kaum ist er draußen telefoniert er wieder, ignoriert das regnerische Wetter. Die Gegend ist menschenleer, und ich erlaube es mir dem Mann näher zu kommen. Natürlich bekomme ich dabei unweigerlich einige Fetzen der Unterhaltung mit. Er redet von Abbau der Schulden. Er erklärt er habe das Geld.

 

Die Berufserfahrung sagt mir das er die Wahrheit spricht. Meine Nachforschung hat klar ergeben das sich mein Zielobjekt wirklich bemüht hat. Erst als er nichts mehr besaß hat er die Kraft gehabt sein Leben zu ändern. In den letzten drei Jahren hatte er jede Arbeit angenommen die man ihm zutraute, und er hatte nichts weiter getan als das Geld zu sparen.

 

Plötzlich stellt sich ihm jemand in den Weg. Lautlos dränge ich mich in eine Nische und warte ab. Der Mann ist heruntergekommen und bleich wie der Tod. Bevor mein Opfer etwas sagen kann zieht der Unbekannte ein Messer und fordert die Brieftasche.

 

Ich bin ganz nahe, und jederzeit in der Lage einzugreifen. Doch ich tue nichts. Meine Zielperson überreicht dem Räuber verstört seine fast leere Geldbörse. Er hatte sein Erspartes auf der Bank, er trägt es nie bei sich, aus Angst sonst in Versuchung zu kommen. 

 

Ich warte, doch schlimmeres bleibt aus. Hastig rennt der Täter mit seiner Beute durch die verregneten Gassen, zurück bleibt mein Ziel und bemüht sich um Fassung. Er hat das Handy noch am Ohr, doch jetzt erst findet er die Kraft seinen Gesprächspartner eilig zu verabschieden.

 

Ich glaube er weiß das ich in der Nähe bin. Ich überprüfe wieder meine Waffe. Langsam wird es Zeit in Aktion zu treten.

 

Er hastet leicht verwirrt über den Bürgersteig, beachtet die Pfützen nicht in die er tritt, er will nur sein Ziel erreichen. Jetzt erst begreife ich wohin er geht, seine Tochter wohnt hier in der Nähe.

 

Ich verstehe. Er will sich erklären. Er will zeigen das er sich geändert hat. Das hat er auch wirklich, das kann ich beurteilen. Meine Zielperson hat die Spielsucht besiegt, er würde eine Überweisung schreiben und dann könnte er sich bemühen sein Leben wieder zurückzugewinnen.

 

Er hat eine echte Chance.

 

Doch ich werde den Auftrag nicht abbrechen. Ich bin Profi, und ich kann niemanden einfach verschonen.

 

Und in dieser Sekunde erfasst ihn das Auto.

 

Die Wucht des Aufpralls schleudert ihn wie eine nasse Stoffpuppe über die Straße auf den Bürgersteig, wo er in einer bizarren, blutgetränkten Pose blinzelnd verharrt. Noch lebt er, doch ich habe kein Interesse daran ihn länger zu quälen.

 

Also ziehe ich meine Sense und erlöse seine Seele vom Leid des Fleisches. Sein Geist spürt meine Präsenz, und ich sage ihm wer ich bin. Er empfindet bedauern, doch ich weiß das sind nur die verblassenden Überreste seiner sterblichen Existenz. Bald wird er es akzeptieren. Leider kann ich nicht mehr Zeit für ihn erübrigen, denn ich muss zu meinem nächsten Zielobjekt. 

 

Ich erlaube mir keine Pause.

 

Ich bin ein Profi in meinem Job.

 

Ende

 

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Kommentare: 4
  • #1

    kitty (Donnerstag, 05 Mai 2011 19:38)

    Wow, ö.ö ich bin einfach nur begeistert ...

    echt geil xD

  • #2

    RavenHigurashi (Donnerstag, 05 April 2012 17:34)

    o____o
    Tolle Geschichte Kame :O
    Ich glaub ich kann von dir noch einiges lernen was?
    Naja hier hast du einen Müll Kommi, bitte xD

    LG Raven

  • #3

    Lina (Donnerstag, 24 Mai 2012 18:49)

    Kame ist eben ein Profi :D

    Tolle Geschichte *_*

  • #4

    Sweet Darling (Dienstag, 05 Oktober 2021 21:30)

    Erstmal danke für die Widmung. Ich fühle mich sehr geehrt.
    Die Geschichte hat mir gut gefallen. Der Stil aus kurzen und prägnante Sätze mag ich besonders.