Mein letzter Weihnachtsabend

Ich werde niemals wissen wieso ich ihm folgte. Diesen Mann. Diesem... ein Wort für ihn zu finden ist mir unmöglich. Es wird mir auch niemals mehr möglich sein. Was ist die Hölle? Ist es ein Ort? Ist es ein Moment? Für mich war es an diesem Dezemberabend eine Erkenntnis.

 

Und was war das für eine Nacht. Der Schnee hatte erst gestern wirklich eingesetzt, Köln war bisher verschont geblieben. Doch seid gestern zog sich ein dünner, weißer Film durch die Luft, das nur ab und an durch den Wind verstärkt wurde. Der Schnee blieb kaum liegen dafür waren die Straßen zu Feucht. Die Straßen durch die er ging. Die Straßen durch die ich diesem Mann folgte.

 

Für eine Frau in meinem Alter ist ein nächtlicher Spaziergang nicht ungefährlich, doch hatte ich eine Wahl? Natürlich. Ich könnte umdrehen, nach Hause gehen und mich auf das Fest vorbereiten. Doch ich wusste, das würde ich heute Abend nicht können. Ich musste ihm folgen.

 

Andere würden heute Abend an ihren Fenstern stehen und das Wetter "gemütlich" nennen, zumindest wenn man in der Warmen Stube sass. Mir selbst kroch die Kälte gepaart mit der Feuchtigkeit durch den Wintermantel, meine Wollmütze Tief ins Gesicht zugezogen. Ich kannte mich im Verfolgen nicht aus, hoffte aber nicht zu auffällig zu sein.

 

Zwar war kaum etwas in den Abendlichen Straßen los doch eben das machte mir Angst. Ich musste unauffällig bleiben, so dachte ich Anfangs. Später wurde mir klar das der Mann den ich verfolgte....er...gar nichts wahrnahm. Wie in einem Träumerischen Wandel ging er zielsicher durch einige Straßen. Die Gegend wurde verruchter, hässlicher. Ich bemühte mich nicht die wenigen Menschen denen ich begegnete unnötig zu taxieren. Die Jugendlichen die Geheimnisvoll an einer Ecke herumlungerten, die alten Trunkbolde die neben Müllsäcken in ihrem eigenen Unrat sassen. Oder die deutlich gekleideten jungen Mädchen die in bestimmten abständen an den Hausecken Position bezogen hatten.

 

Es überraschte mich nur Teilweise das der Mann eines dieser Mädchen ansprach. Das er sich ein Mädchen für die Nacht suchte währe nicht schlimm. Zumindest nicht für mich. Ich bemühe mich an eine der Hauswände zu drücken, was für ein Anblick: eine 58 Jährige Frau die sich wie ein Spion aufführt.

 

Lächerlich.

 

Und dennoch notwendig.

 

Ich verstand kein Wort das die beiden miteinander wechselten. Wahrscheinlich handelte er einen Preis aus. Während sie so dastanden musterte ich das Mädchen. Ein kurzer Minirock, viel zu kurz für dieses Wetter, und eine knappe Wolljacke die von weiß langsam ins Grau überging. Die Prostituierte war blass, ich sah aus dieser Entfernung die schwarzen Wurzeln ihrer Blonden haare. Sie Trug viel Make Up, sah dennoch müde aus. Ich ahnte das dieses Mädchen jünger war als sie Aussah, ein weiteres Schicksal in dieser Welt das keine Gnade kannte.

 

Ich betete das ich mich irrte.

 

Ich wollte nicht rechthaben.

 

Die beiden haben sich scheinbar geeinigt. Ich rühre mich keinen Zentimeter als er sich nach hinten umdreht, die leere Straße mustert. Ich wusste im Schatten würde er mich nicht sehen können.

 

Sie gehen langsam eine Einfahrt hoch, alte Industrieviertel wie Köln viele hat. Ich warte innerlich 60 Sekunden und bemühe mich langsam dieselbe Richtung einzuschlagen. Der Schnee nahm wieder ab, die Luft wurde klarer. In der Dunkelheit wurden die Schatten länger, und nur die weiße Wolljacke der Prostituierten gab mir einen Anhaltspunkt wohin die beiden gingen. Tausend Gedanken schossen mir durch den Kopf. Ich könnte alles ignorieren. Ich könnte jetzt umdrehen. Alles würde gut, wenn ich unwissend bleiben wurde.

 

Ich konnte nicht umdrehen. Ich musste wissen ob mein Instinkt mich nicht täuschte.

 

Die Fabrikhalle war dunkel, sicher seid Jahren verlassen. Es war sicher ein Treffpunkt für Jugendliche um Drogen zu nehmen, für Obdachlose zum Schlafen, oder weiß Gott was zu tun. Ich bemühte mich nicht auf kaputte Bierflaschen oder gebrauchte Spritzen zu treten, ich ignorierte die huschenden Tierchen die vor meinen Schritten wegliefen, und spähte in das innere der Halle.

Er und Sie standen da. Durch einen schwachen Schimmer des Fensters konnte ich beide aus der ferne erkennen. Sie gegen eine der beschmierten Wände gelehnt, er vor ihr.

 

Die Hölle war kein Ort.

 

Kein Platz wo dich ein gehörntes Monster mit einer Gabel quält.

 

Die Hölle war kein Moment.

 

Es war nicht mal das schlimmste als ich die Klinge sah, das lange Küchenmesser das plötzlich in der Hand des Mannes war. Der gedämpfte Aufschrei des Mädchens als das Messer ihren bauch durchbohrte.

 

Die Hölle war die Erkenntnis.

 

Ich wollte los schreien. Aber wie hätte ich? Ich war zu gebannt. Zu geschockt um einen klaren Gedanken zu fassen. Selbst an das Schreien konnte ich mich nicht klammern, denn das wäre dem nicht gerecht geworden was in diesem Moment geschah. All mein innerstes bettelte und flehte mich an meine Augen wenigstens abzuwenden, sie zu schließen, doch mein innerer Richter war Gnadenlos, ich forderte mir selber ein dem schrecklichen Schauspiel zuzusehen.

 

Und es wurde noch grässlicher. Die Momente brannten sich mir für immer ein. Wie dem ersten Stich ein zweiter folgte, das Mädchen schwach kreischend zu Boden, ging, ihre dünne Stimme zu einem Angsterfüllten Schrei anschwoll. Ich flehte alles an was Einfluss auf diese Erde, unser leben und Schicksal hatte an er möge es jetzt einfach beenden.

 

Und dann sah ich den Hammer.

 

Nun musste ich meine Hand zwischen die Zähne drücken um nicht los zuschreien. Wie in Zeitlupe holte er aus, das grausame Mordwerkzeug sauste ihr auf den Schädel. Wieder und wieder, wie ein Henker schmetterte er auf sie ein.

 

Selbst als sie sich nicht mehr rührte.

 

Selbst als ihr Gesicht, ihr Kopf nur noch eine knackende blutige Masse war. Ich war zum erstenmal dankbar für die Dunkelheit die mir Details ersparte. Doch die Geräusche waren grauenhaft genug das ich sie nie wieder vergessen werde können. Es mussten keine fünf Minuten seid dem ersten Stich vergangen gewesen sein, für mich war die Zeit nicht mehr vorangeschritten seid dem Moment der Gewissheit. Der Mann sackte auf die Knie zusammen. Schüttelte sich. Weinte er?

 

Dann erkannte ich es.

 

Er lachte. Kein tönendes, dumpfes Lachen. Keines wie die eines Schurken im Theater. Nein das lachen war abgehackt, schrill, wie das eines Kindes, eines wirren Kindes. Der Himmel klärte draußen kurz auf und ich konnte eine Sekunde sein Gesicht erkennen. Es war das scheußlichste das ich je gesehen hatte. Der Mann....oder Monstrum...was auch immer es war hatte die Augen geweitet, so das es fast mehr einem Tier den einem Menschen glich. Fast schon krampfend hatte er sich die Finger in den Mund gedrückt.

 

Erst dachte ich gebannt er wolle sich übergeben doch dann sah ich das er sich auf die Finger biss, seine eigenes Gelächter abwürgend. Dann ging seine andere hand zu seiner Hose, öffnete den Reißverschluss.

 

Ich wusste was da nun kommen würde, auch wenn mir diese Gedanken so bizarr und krank waren, das konnte ich nicht mehr aushalten. Ich schaffte es mich umzudrehen, halbwegs bemüht keinen Lärm zu machen. Ich wäre fast gestolpert auf meinen Schuhen, schaffte ich es dennoch auf den Hof. Ob er mich bemerkt hätte? Die Angst wurde plötzlich so bedrohlich und Grausam das ich mit mühe meinen Magen zurückhalten konnte.

Keuchend, außer Atem vor Schrecken, Angst und Ekel wankte ich wieder auf die Straße, als ich mit jemanden zusammenstieß. Erst wollte ich mich entschuldigen, dann erkannte ich die Gestalt.

Ein Polizist.

 

"Was haben sie denn gute Frau?! Ist etwas passiert?!"

 

Ich musterte den Beamten irritiert. Seine Mütze war mit einer Folie überzogen, seine Uniform aber Tadellos trotz des Wetters. Er war schon älter, ein grauer, breiter Schnurrbart zierte sein Gesicht. Ernste, aber wachsame Augen musterten mich. Er dachte wohl ich wäre vielleicht Überfallen worden oder sonst etwas, schließlich musste ich in diesem Moment furchtbar ausgesehen haben.

Ich musste es ihm sagen. Ihn erklären was ich gesehen habe. Der Mann, das Mädchen. Ein Fingerzeig würde schon genügen. Er war sicher noch da. Ein Fingerzeig und das ganze würde enden.

Aber wie hätte ich können? Wer in meiner Lage hätte das tun können?

 

"Nein" antworte ich schwach, erschrocken über den Klang meiner eigenen Stimme. Wie von einem fremden Planeten. Ich zwinge mich irgendwie zu einem bemühten Lächeln, eine jämmerliche Maskerade wenn nach der Wahrheit bohren würde. Der Polizist blickt mich an, und für eine Sekunde weiß ich das er mir nicht glauben wird. Er wird nachhaken, und ich würde ihm alles gestehen was ich mit ansehen musste. Doch das Los geht an mir vor rüber.

 

"Passen sie auf, in dieser Gegend ist es um diese Uhrzeit nicht mehr sicher."

 

Fast hätte ich ihm ins Gesicht gelacht, verächtlich aufgezeigt wie sehr er doch recht hätte. Doch ich kann nicht mehr als schwach nicken. Ohne noch einmal einen Blick zurückzuwerfen hastete ich durch die Straßen. Nur nach hause. Nur Weg von diesem Ort. Und den Mann.

 

Am nächsten Abend war ich halbwegs beruhigt. Ich hatte mir alles überlegt. Natürlich konnte ich nicht zur Polizei. Andere hätten das gekonnt, aber das war keine Lösung für mich. Als ich gerade eine Kerze anzündete klingelte es an der Tür. Geistesabwesend rückte ich meine Schürze zurecht, und öffnete die Tür.

 

Und da stand er. Direkt vor meiner Tür.

 

Der Mann der Mann der gestern ein Mädchen wie im Rausch ermordet hatte. Nicolas. Die Augen die gestern noch bestialisch verzerrt waren mustern mich nun voller Liebe.

 

"Hallo Mutter" grüßt er mich lächelnd, küsst mich warm auf die Wange. Ich zwinge mich zu einem lächeln, und bin selbst überrascht wie ruhig ich bin. "Komm doch bitte rein, ich hab uns etwas gekocht."

 

Langsam setzen wir uns an den Wohnzimmertisch. Ich hatte ihm Linsensuppe gemacht, seine Lieblingsspeise. Während er zufrieden die ersten Löffel zu sich nimmt mustere ich ihn. Er sah aus wie immer. Wenn ich ihn ansehe dann sehe ich immer noch den kleinen Jungen der mit Freunden im Hinterhof Piraten gespeilt hat. Den Halbwüchsigen der so gerne Basketball spielte. Den Säugling den ich nach der Geburt glücklich in den Armen hielt. Und dann, unvermeidlich sehe ich das Monstrum von letzte Nacht. Wochenlang hatte ich die Zeichen ignoriert, die Zweifel und Hinweise übersehen, doch seid letzter Nacht wusste ich wer für die Mordreihe in Köln verantwortlich war.

 

Wie hätte ich ihn anzeigen können? Meinen eigenen Sohn?

"Du wirkst so abwesend Mutter, was ist denn?"

 

Er lächelt mich warm an und mir kommen fast die Tränen. "Nichts Liebling, schmeckt es?"

 

"Sicher, aber warum wolltest du mich den nun sprechen? Mara und die Kinder warten sicher schon, wolltest du noch das ich etwas mitnehme? Verwöhn die beiden bitte nicht, Bescherung ist doch erst morgen"

 

Ich schüttel schweigend den Kopf, tränen rinnen mir ungehemmt aus den Augen, ich hatte keine Kraft mehr zu sprechen. Er war immer gut zu mir. Wo andere Kinder sich rumtrieben und herumstreunten war er immer ein vorbildlicher Sohn gewesen. Mein ganzer Stolz. Doch seid gestern wusste ich: Ich hatte mit Schuld an dem Tod von diesen Mädchen.

 

"Mutter du weinst ja...ist...etwas passiert?"

 

Ich erkenne wie seine Stimme träge wird, sein Blick trüber. Er versucht wieder aufzustehen, doch seine Glieder gehorchen ihm nicht mehr. "Nhh" erklärt er verwirrt, dein Kopf knallt kraftlos auf den Tisch, lässt den Teller hinunterfallen. Die Rohrbleiche die ich in die Suppe gerührt hatte musste schon wirken, und ihm langsam die Innereien zerfressen. Ich als Mutter konnte ihn nicht leiden lassen, darum hatte ich noch eine gute Handvoll Schlafmittel reingemischt.

 

"Ich liebe dich Nicolas"

 

Mehr kann ich nicht sagen. Ich liebe ihn. Trotz seiner Morde, trotz seiner Taten. Kann man einer Mutter etwas anderes abverlangen? Sein Kopf liegt auf der Seite, blut rinnt ihm aus dem Mundwinkel. Er kann sich nicht mehr rühren, nur noch zittern, seine Augen wandern verwirrt wie bei einem Fisch an Land unstet umher. Ich hätte ihm nicht anzeigen können, den eigenen Sohn im Gefängnis, seine Familie...seine Kinder...meine Enkel...

Er röchelt, die letzten Züge. Seine Lunge musste von der Bleiche schon Löcher haben, er erstickte an seinem eigenen Blut. Ich würde am liebsten wissen was ihn dazu getrieben hat. Ich hätte es nie verstehen können, und nun würde ich es auch nie mehr erfahren.

 

Er atmet nicht mehr, Blut rinnt ihm langsam aus Nase und Mund, seine Augen verlieren nun den Glanz.

 

Das Monster, das mal mein Sohn war, ist tot.

 

Ich streiche ihm ein letztes mal über den Schopf. Nun war der Schrecken und Schmerz vorbei. Den Brief den ich geschrieben hatte würde vieles erklären, und hoffentlich den schlimmsten Schock nehmen. Ich bin seine Mutter gewesen, also kann ich nicht anders als seine Augen zu schließen. Dann setze ich mich, und beginne in aller Ruhe meine letzte Suppe zu essen.

 

Am diesem meinem letzten Weihnachtsabend.



ENDE

 

 

 

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Kommentare: 1
  • #1

    NekoGirl (Samstag, 30 Juli 2011 20:04)

    Wow...Auf so ne idee muss man erstmal kommen! Der eigene Sohn ein Killer ich glaub ich hätt ihn auch umgebracht aber naja eine echt gute Story! Bin mal wieder begeistert ^.^ LG Neko