Benny isst immer um Vier

Nevada war nie einladend gewesen. Das Land bestand seit jeher aus Sand und Staub, nur noch wenige Farmen zeichneten sich in dieser Einöde ab, da die Felder einfach wegen dem Wetter zu wenig einbrachten.

Melbas Haus jedoch war eine kuriose Ausnahme. Das altmodische, vom Sand und Wind gelbweiß gefärbte Gebäude stand fast trotzig inmitten des Nirgendwo dieses unwirtlichen Fleckchens Erde. Die einzige Straße war gute zwanzig Minuten entfernt, und außer dem Postboten, und einem Mann der alle Tage mal Lebensmittel lieferte, kam hier niemand vorbei.

Melba hatte selten Zeit sich über ihre Isolation Gedanken zu machen. Der Haushalt und der Alltag hielten sie trotz ihrer 61 Jahre stets auf trab und über Langeweile konnte sie sich , weiß Gott, niemals beklagen. Die einzige, private Freude die sie sich jedoch stets aufrecht erhielt war Radio zu hören während sie das Geschirr spülte. Wie auch heute.

“Und nach diesem schönen Song die Lokalen Nachrichten, es ist nun halb Vier.”

Wie auf ein unsichtbares Kommando hin hielt Melba inne und begab sich statt dessen an den Herd. Benny aß immer pünktlich um Vier, und wenn er sein Essen zu spät bekam wurde er schnell quengelig. In geübter Routine begann sie Gemüse, Fleisch und sonstige Zutaten zuzuschneiden und sie in den imposanten, großen Suppentopf zu geben.

“Ma’am?”

Die rüstige Dame wirbelte wie von der Tarantel gestochen herum. Sie war so selten eine fremde Stimme gewohnt das sie fast das Küchenmesser hatte fallenlassen. Verwirrt blickte sie zu ihrer Verandatür, durch dessen Gitter sie einen Fremden erkannte.

“Entschuldigen sie Ma’am, ich wollte sie nicht erschrecken.”

Er war sicher erst 30, vielleicht 35 Jahre alt, trug einfache, etwas zerknittere Kleidung. Melba fixierte kritisch den dünnen, aschblonden Schnurrbart der das einzig auffällige an dem gewöhnlichen Gesicht des Mannes war, sein haare waren kurz geschnitten. Etwas ungelenkt stand er an der Tür, die Hände in den Taschen seiner Jeans.

“Mein Wagen ist hier auf der Straße stehen geblieben, kann ich kurz den Automobilclub anrufen? Mein Handy bekommt hier scheinbar keinen Empfang.”

Die alte Dame rieb sich nachdenklich die Hände an ihrer Schürze trocken, ehe sie antwortete. “Das ist hier oft der Fall. Sie können den Apparat im Wohnzimmer nutzen, aber bitte nicht zulange, gleich ist Essenszeit.” Behutsam schloss sie die Tür auf, und der Mann trat ein. Einige Sekunden musterte er sie mit einem undefinierbaren Blick, doch dann lächelte er strahlend. “Vielen dank Ma’am.”

Melba war zwar unterbrochen worden, doch nicht aus dem Konzept gebracht. Mechanisch und gewissenhaft kochte sie weiter am großen Suppentopf, während das Radio weiterlief. Endlich bemerkte sie wie ihr Besucher in die Küche zurückkehrte.

“Sie sind in einer Stunde da, danke nochmals Ma’am.”

“Sie können mich Melba nennen, Mister...?”

Der Mann setzte sein wärmstes Lächeln auf. “Sagen sie einfach Patt.” Vielsagend blickte er sich um. “Ich will sie nicht mehr behelligen als nötig, aber dürfte ich noch kurz ihre Toilette benutzen? Dann sind sie mich auch schon los.”

Die rüstige Frau nickte und hob den Arm zum Flur. “Hinten die letzte Tür.”

Der Topf brodelte langsam vor sich hin, und so wie das Essen wurde auch Melba unruhiger. Benny aß immer um Vier, alles andere würde problematisch werden, und fremde Leute störten den gewohnten Ablauf. Während sie im Topf rührte bekam sie nur mit halbem Ohr die Stimme des Nachrichtensprechers im Radio mit.

“...hat der Verdächtige bei seinem Raubüberfall zwei Polizisten getötet und befindet sich nun auf der Flucht. Er ist etwa einsachtzig Groß, hat dunkelblonde Haare und einen dünnen Schnurrbart. Sollten sie ihn sehen vermeiden sie direkten Kontakt mit ihm, sondern wenden sich...”

Den Rest hörte Melba nicht mehr, denn ihr Herzschlag übertönte sämtliche Geräusche. So schnell wie es ihre müden Beine ihr ermöglichten hastete sie durch die Küche ins Wohnzimmer, die Hand nach dem Telefonhörer gestreckt. Doch als sie diesen anhob spürte sie schon die fehlende Schnur. Diese lag säuberlich abgeschnitten am Boden. Dann packte sie plötzlich eine Hand grob am Schopf, so das sie aufschrie.

“Halt dein Maul du alte Schachtel!” brüllte der Fremde aggressiv, und Melba spürte etwas metallisches an ihrem Kinn. Der Lauf einer Pistole. “Eine falsche Bewegung und du kannst in der Hölle weiterzetern!”

Trotz der Situation war die alte Dame erstaunlich gefasst. “Verschwinden sie einfach, ich habe eh kein Geld hier.” Sie schluckte kurz. “Es ist gleich Vier, ich muss das Essen fertigmachen. Benny isst um Vier.”

Der Mann der sich als Patt vorgestellt hatte schnaufte nur belustigt. “Dein Mann?”

“Mein Sohn. Er ist es gewohnt um Vier zu Essen.”

Fast spielerisch zog er sein Opfer zu den Fenstern und schaute lauernd durch die Scheiben. “Arbeitet er außerhalb?”

“Das Essen brennt mir an! Bitte wenn...”

“DU SOLLST MIR NICHT BLÖD KOMMEN!”

Ein Schlag mit der Waffe an ihrer Schläfe ließ Melba taumeln, und hätte ihr Peiniger sie nicht festgehalten wäre sie gestürzt. Sie spürte etwas warmes an ihrer Stirn herabrinnen und wimmerte benommen. “Ich will jetzt allen Schmuck und alles Bargeld das du da hast, und falls dein Junge hier aufkreuzt sehen wir weiter.”

Ohne weitere Debatten bugsierte Patt die Frau ins obere Stockwerk. Es war nicht das erste mal das er so etwas machte, und er wusste wo alte Menschen ihre Wertsachen aufbewahrten. Plötzlich hörte er einen lauten Knall, so als würde jemand laut auftreten. Irritiert lauschte er, doch außer dem leisen schluchzen der alten Frau war es wieder still. Der Sohn war doch nicht etwa schon da? Patt hatte kein Auto vorfahren sehen, also war das unwahrscheinlich.

“Es ist schon Vier” jammerte Melba leise, doch der Bewaffnete zischte nur drohend. “Wen du mich noch einmal mit dem Mittagessen nervst...”

Wieder ein lautes rumpeln, das kam aus dem Erdgeschoss.

“Was war das?” wollte Patt wissen während er zur Treppe blickte. Dann warf sich Melba auf ihn. Die alte Dame war ihm zwar körperlich unterlegen doch sie nutzte den Moment um ihn von den Beinen zu werfen. Sie und ihr Gegner versuchten nach der Waffe zu greifen und rangen am Boden, rollten sich über den Flur. “ER ISST IMMER UM VIER!” kreischte die Frau wie von Sinnen während sie an der Pistole zerrte. Patt bemühte sich sie von sich wegzutreten.

Dann löste sich laut und deutlich ein Schuss.

Melba sackte zurück auf den Flurboden. Ihr Atem ging plötzlich hecktisch während sich unter ihrer Brust der Rauch aus dem Einschussloch kräuselte. Patt erhob sich mit einem gleichgültigen Gesichtausdruck. “Wärst eh nicht lange am Leben geblieben” erklärte er der mit dem Tode ringenden emotionslos. “Aber jetzt muss ich dein Erspartes selbst suchen, du machst wirklich nichts als Ärger.”

Dann knallte es wieder unten, wie als wenn ein Pferd austreten würde. “Verfluchte Quarke” knurrte Patt verstört, was war das? Ohne sich um die röchelnde Frau am Boden zu kümmern ging er die Treppe wieder hinab ins Erdgeschoss, die Waffe kampfbereit erhoben. Wäre das der Sohn der Alten so würde er auch ihn schnell ausschalten, er konnte hier nicht ewig herumtrödeln. Doch das Wohnzimmer schien verlassen wie vorhin. Stirnrunzelnd ging er in die Küche, doch auch hier war niemand. Einzig der große Eintopf blubberte verbrannt vor sich hin. Schnell schaltete er den Herd aus, er wollte nicht noch bei einem Brand draufgehen.

Dann knallte es wieder, und Patt erkannte das das Geräusch nicht aus dem Erdgeschoss, sondern scheinbar aus dem Keller kam! Er hörte außerdem eine art Röcheln.

Der fünfte Knall lies das Haus erzittern, und verstört beobachtete der Mann wie sich die Holzdielen im Wohnzimmer nach OBEN verbogen! “Was zur Hölle ist da unten?” ging es Patt durch den Kopf. Vorsichtig näherte er sich dem kleinen Loch das durch den Knall entstanden war. Es war nichts zu sehen, doch ein grausiger Gestank drang an seine Nase. Hielt die Hausherrin etwa ein Tier da unten?

Und dann schoss die Pranke durch das Loch. Er konnte gar nicht so schnell reagieren wie die Klaue ihn am Fuß packte und von den Füßen zerrte. Er schrie, und schoss automatisch auf den Arm. Er traf, ein gurgelndes Jaulen ertönte und das etwas löste seinen Griff um in der Finsterniss des Lochs zu verschwinden. Patt schnaufte panisch, rappelte sich japsend auf die Füße, WAS hatte ihn da angefallen? Die Pranke hatte entfernt an eine Menschliche Hand erinnert, doch war sie überdimensioniert und deformiert gewesen. Und hatte er nicht eine altmodische Kette am Gelenk der Klaue wahrgenommen?

So schnell er konnte umrundete er das Loch, er wollte so schnell wie möglich nur noch aus diesem Haus. Hastig zerrte er an der Vordertür, doch sie ließ sich nicht öffnen! Er erkannte verstört das die Dielen sich verbogen hatten, deswegen war die Tür blockiert!

Dann wuchtete sich das Wesen unter ihm durch den Boden.

Patt schrie und schoss blindlings als Holzsplitter auf ihn herabregneten. Nur schemenhaft erkannte er das riesige Ungetüm vor ihm. Mehrfach trafen seine Kugeln, doch die Wucht der Erschütterung hatte ihn von den Füßen geworfen und der Staub versperrte ihm die Sicht. Zumindest hörte er nichts mehr.

Sollte das Ding etwa den Sohn der Alten darstellen? Patt schüttelte sich, das war irgend eine Art Tier gewesen, aber doch kein Mensch! Verstört rappelte er sich auf.

Und da warf es sich aus dem Nebel auf ihn!

“AIEEEEEEEEE!”

Mit aller Gewalt drückte er brüllend das Monstrum von sich. Es war eine Abscheulichkeit! Nackt und haarlos, sah es entfernt einem Menschen ähnlich, doch der Vergleich hinkte. Der Kopf der sich Patt entgegenstreckte war seltsam deformiert, die Ohren schlabberig und nach oben zulaufend, der Kiefer verformt und die Zähne waren klitzeklein, aber spitz! Das Schlimmste fand er waren die Augen der Kreatur: Schwarz und Animalisch Seelenlos, wie die eines Haifischs!

Mit aller Kraft winkelte der Verbrecher seine Füße an um das Geschöpf von sich herunter zu katapultieren. Das Wesen kreischte schrill, seine Hände waren mit abgerissenen Ketten behangen, seine Füße bizarr deformiert und übergroß.

Kopflos vor Angst schoss Patt auf das Wesen, doch es ertönte nur ein Klicken! Er hatte das Magazin verschossen! Fluchend fischte er die Kugeln aus seiner Jackentasche, doch schon hechtete das Wesen nach ihm. In Panik hastete er die Treppe wieder hinauf, doch eine der Pranken packte seinen Fuß.

Mit einem hörbaren Knacken brach der Knöchel und schreiend fiel der Mann der Länge nach auf die Treppe. Panisch drehte er den Kopf nach hinten, nur um zu sehen wie das haarlose Biest sein Maul in seinen Fuß schlug! Die Pistole lag auf einer Stufe, panisch und brüllend tastete er nach der Waffe während das Monstrum mit beachtlicher Kraft ein riesiges Stück Stoff und Fleisch aus dem Fuß riss!

Patt verdrehte in Höllenqualen die Augen, wenn er jetzt das Bewusstsein verlor war er verloren! Blitzschnell griff er sich die Pistole und steckte seine zwei letzten Patronen in das Magazin. Das Wesen kaute hörbar und hob erst den nackten, hässlichen Schädel als es die Pistole auf sich gerichtet sah.

“Verrecke du Monster!”

Der Schuss riss der Kreatur das Auge und einen Teil des Hinterkopfs weg. Gurgelnd sackte es halb auf dem Mann zusammen, der letzte Schuss ließ von dem Kopf des Geschöpfs kaum noch etwas übrig. Patt hatte das Monster getötet. Fluchend und mit schmerzverzerrten Gesicht zog er sich am blutverschmierten Treppengeländer auf die Beine. Sein Fuß blutete stark, er musste ihn unbedingt verbinden! In einigen Stunden konnte er sicher einen Arzt finden.

Humpelnd und den angebissenen Fuß hinter sich herziehend wankte er über den Flur ins Schlafzimmer. Er beachtete nicht einmal mehr sein erstes Opfer, Melba.

Diese vergoss in ihrem Letzten Atemzug noch eine Träne. Ihr Benny war tot. Egal was er war, sie hatte ihn geliebt...

Inzwischen durchwühlte Patt das Schlafzimmer, riss einige alte Nachthemden zu Verbänden und bemühte sich fluchend seinen Fuß zu versorgen. Dabei fiel sein Blick auf einen gerahmten Zeitungsausschnitt auf der Nachtischkommode. Er verlor sämtliche Farbe im Gesicht, seine Augen weiteten sich ungläubig. “Oh nein...das ist doch nicht möglich!”

Der letzte Gedanke des sterbenden Gehirns von Melba wiederholte die alte Regel das Benny immer um Vier aß. Er war immerhin der Kleinste.

Seine Brüder aßen immer erst um Fünf.

Patt riss den Kopf zur Tür als er hörte wie sich mehrere, riesige Klauen durch die Wohnzimmerdielen schlugen, ein abscheuliches Kreischen aus mehreren Kehlen durchschnitt die Stille. Fassungslos musterte er seine nun Leere Pistole, dann nochmal verzweifelt den Zeitungsausschnitt.

Dieser schien Jahrzehnte alt zu sein, dennoch konnte man die Schlagzeile noch gut lesen.

“Einheimische bringt bizarre Vierlinge zur Welt!”

 

 

ENDE

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Kommentare: 3
  • #1

    Lina (Donnerstag, 24 Mai 2012 19:14)

    Die Geschichte ist super geschrieben und ich hab anfangs gedacht, dass es um Geister doch dass es nun sowas war--


    Epische Idee episch umgesetzt.

  • #2

    Todeskröte (Sonntag, 07 Oktober 2012 18:16)

    Ich hab auch erwartet, dass es sich um Geister handelt. Zum Glück doch nicht.^^
    Die Geschichte war spannend und die Auflösung auch ziemlich logisch. Das müssen echt bizarre Vierlinge sein, kein Wunder, dass die Frau etwas abseits lebt.

  • #3

    inGe. c: (Samstag, 27 Oktober 2012 16:24)

    Bei dem Titel hatte ich ehrlich gesagt nichs sonderlich gutes erwartet, aber das war DEFiNiTiV GUT.!(; Wer hat die Geschichte denn geschrieben.? o: Ich hatte das alles nicht erwartet, toll.! :3